Am Freitag, den 26.09.2008, brachten wir Jonas am Nachmittag ins Krankenhaus, weil wir uns wegen seiner schweren und röchelnden Atmung Sorgen machten. Für uns recht überraschend, wurde uns empfohlen, Jonas aufnehmen zu lassen, um eine weitere Behandlung im Krankenhaus vornehmen zu lassen. Ab Samstag bezeichneten die Ärzte Jonas' Zustand als stabil kritisch und ernst. Michaela sagte mir, sie hätte Angst und ich lies mich von der Arbeit freistellen, bis sich sein Zustand wieder bessern würde und zumindest nicht mehr kritisch wäre. Am Dienstag beschlossen wir, durchgängig bei Jonas zu bleiben. In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, den 01.10.2008, wechselten Michaela und ich unsere gemeinsame Wache an Jonas Bett durch einen Schichtbetrieb ab. Wir beschlossen, dass es keinen Sinn macht, wenn wir beide die ganze Zeit halb wach, halb schlafend verbringen. Stattdessen sollte sich einer von uns schlafen legen, um den anderen dann ablösen zu können.
Während der ganzen Zeit im Krankenhaus musste Jonas etwa alle zwei bis drei Stunden abgesaugt werden, weil seine Lunge, sein Rachen und generell seine ganzen Atemwege zu liefen. Durch das viele Absaugen, musste sein Nasen-Inneres und der Rachenbereich schon sehr angegriffen sein, da neben Sekret auch sehr viel Blut abgesaugt wurde. Nach dem Absaugen hatte Jonas auch häufig Nasenbluten. Es tat uns sehr Leid, dass sehen zu müssen. Mit Hilfe von Medikamenten war er ruhig gestellt, so dass er kein schmerzverzerrtes Gesicht hatte, lediglich stumme Tränen zeigten uns, dass dies alles Jonas gar nicht gefiel.
Am Dienstag - Jonas Zustand hatte sich kein bisschen verbessert - fassten wir all unseren Mut zusammen, hielten unsere Hände, hielten Jonas Hände und sagten ihm, dass er sehr tapfer sei, aber dass wir ihm nicht böse wären, wenn er keine Lust mehr hätte und gehen wolle.
Am Mittwoch hat es den ganzen Tag geregnet und gestürmt, so heftig, dass durch das Oberlicht unserer Küche Wasser drang, was bis dahin nur einmal vorher passierte, seit dem wir in Mönchengladbach wohnen. Ich hatte die Nacht ab etwa 4:00 Uhr bis morgens bei Jonas verbracht und er hat brav geatmet. Michaela war dann von 8:00 Uhr bis 11:00 Uhr da, und ich wieder von 11:00 Uhr bis 13:20 Uhr. Da wir mittlerweile im Rooming-In waren, stand uns ein Mittagessen in der Kantine zu, und weil Michaela bereits zu Hause etwas gegessen hatte, bin ich in die Kantine gegangen. Um 13:45 Uhr bin ich wieder auf Jonas' Zimmer gekommen. Als ich bereits im Zimmer war und an Jonas' Bett stand, spürte ich eine plötzliche Kälte über meine Arme streifen. Michaela schickte mich nach Hause, aber etwas hielt mich am Bett. Wie üblich blickten wir nervös alle paar Sekunden auf die Sättigungswerte. Diese lagen schon den ganzen Tag über bei 85% bis 92%, was im Vergleich zu den Tagen davor ganz gut war. Sogar Windelwechsel und eine Umbettung hat Jonas ohne Sättigungsabfall und Hustenanfall überstanden.
Etwa um 14:00 Uhr fiel die Sättigung dann ohne plötzliches äußeres Anzeichen von fast 90% auf 81%. Jonas Atmung hörte sich wieder etwas blubbernd an, so dass ich das Zimmer verliess, um eine Schwester zu holen und zu bitten, Jonas wieder einmal abzusaugen. Bereits von draussen hörte ich den Alarmton, der anzeigte, dass die Sättigung mittlerweile unter 80% gefallen war. Wie etliche Male in den vergangenen Tagen zuvor, bereitete die Schwester die Absaugung vor. Es liess sich auch etwas Schleim aus Nase und Rachen holen, allerdings blieb die Sättigung unten und fiel noch weiter. Michaela streichelte Jonas Kopf und ich hielt seine Hand. Die Schwester lies nach der Ärztin rufen. Jonas Lippen hatten schon einen leichten Blau-Stich. Die Schwester begann damit, Jonas zu bebeuteln, also mit einer Art Hand-Blasebalg und einer Atemmaske zu beatmen. Zwischenzeitlich blickte ich entsetzt auf meine Hand, die Jonas Hand hielt, und sah, dass diese blau bis lila-farben war. Auch die Ärztin, die die Beatmung übernahm, schaffte es nicht mehr, die Sättigung über 50% zu bringen. Draussen riss der Himmel auf und der stürmige und regnerische Tag verwandelte sich in einen Sonnentag.
Besorgt fragten wir mehrmals nach, wie lange man ihn in diesem Zustand halten könne. Die Ärztin meinte, dass sich Jonas innerhalb von 15 bis 20 Minuten fangen müsste. Es waren schlimme Minuten. Schliesslich merkten wir auch ohne Worte, dass Jonas nicht mehr wollte, dass es nicht mehr ging, und auch die Ärztin schien das zu merken und fragte uns, ob wir Jonas auf den Arm nehmen wollten. Wir würden die zusätzliche Sauerstoffgabe und das Bebeuteln lassen. Wir stimmten sofort zu und Michaela nahm Jonas auf den Arm. Man liess uns auf unseren Wunsch alleine und so verbrachten wir die letzten Momente mit unserem Joni. Michaela hielt ihn in seinen Armen und ich hielt seine Hände fest. Zusammen sagten wir ihm, dass er keine Angst haben müssen, dass wie bei ihm wären. Wir spielten seine Lieblings-Einschlaf-CD ab, mit Vogelgezwitscher, Wellenrauschen und beruhigender Musik. Er schlief ganz friedlich ein. Er holte nur reflexartig noch einige Male Luft und hat nur noch ein einziges Mal kurz gehustet. Eine Schwester teilte uns zwischendurch mit, daß das Herz nicht mehr schlägt. Der Überwachungsmonitor war so gedreht, daß wir nichts mehr sehen konnten.
Etwas später bestätigte uns die Ärztin den Tod, nach etwa 15 Minuten.
Auf unseren Wunsch konnten wir nochmal einige Zeit alleine mit Jonas verbringen. Der weitere Ablauf war uns völlig unklar. Ich verliess den Raum und ging hinüber zum Ärztezimmer. Dort stand die versammelte Mannschaft der Ärzte und Schwestern, teilweise mit Tränen in den Augen. Sie alle kannten Jonas von mehreren Aufenthalten im Krankenhaus und waren seinem Charme und seiner außergewöhnlichen Fröhlichkeit erlegen. Man klärte uns auf, dass Jonas von Gesetzes wegen nochmal untersucht werden müsse. Wir hatten Sorge, dass Jonas "aufgeschnitten" werden müsste, aber der Oberarzt versicherte uns, dass es eine rein äußerliche Untersuchung wäre. Zum einen wollten wir bei dieser Untersuchung nicht dabei sein, zum anderen wollten wir noch andere Kleidung für Jonas holen. Er trug lediglich seine "Krankenhauskleidung", also ein T-Shirt und eine Jogging-Hose. Also fuhren wir erstmal nach Hause zu Niklas und seiner Oma, die dort auf ihn aufpasste.
Michaela rief im Regenbogenland an. Von dort machten sich direkt das komplette Team der Trauerbegleitung auf den Weg. Und zu unserer großer Erleichterung regelten sie alles mit dem Bestattungsinstitut, und es wurde ein Transport von Jonas ins Regenbogenland organisiert. Unser Wunsch war es immer, mit Jonas, wenn das Ende absehbar gewesen wäre, ins Regenbogenland zu gehen. Wir wollten nicht, dass Jonas seine letzten Tage in der kalten Atmosphäre eines Krankenhauses verbringen müsste. Allerdings haben sich die Schwester und Ärzte im Krankenhaus in Neuwerk wirklich rührend und herzlich um Jonas gekümmert. Sie haben uns das Gefühl gegeben, in Jonas nicht nur einen weiteren kleinen Patienten zu sehen.
Zurück im Krankenhaus zogen wir Jonas um, richtig frech, wie es zu ihm passt. Später traf der Bestatter ein und wir verabschiedeten uns kurz von Jonas. Wir konnten ihn nicht auf dem Weg zum Auto begleiten, da er leider mit einer Kuscheldecke über den Kopf zugedeckt werden musste, was Michaela nicht ertragen konnte. Während er schon ins Regenbogenland vorfuhr, holten wir Niklas und ein paar Sachen von zu Hause ab.
Als wir im Regenbogenland ankamen, war Jonas bereits im Abschiedsraum aufgebart. Im Hintergrund lief eine grauenvolle Orgelmusik-CD, welche jedoch umgehend durch das Vogelgezwitscher ersetzt wurde. Er sah aus, als würde er schlafen, als würde er ganz ruhig und friedlich schlafen. Und er sah aus, wie ein Engel. Wunderschöne, makellose, fast weisse Haut, und so, als hätte er ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Als wolle er uns bestätigen, dass es ihm dort, wo er jetzt ist, besser geht.
Wir hätten gerne noch so viel mehr Zeit mit Jonas verbracht. Wir hatten so viele Dinge in die Wege geleitet. Eine neue tragbare Nahrungspumpe, um mit Jonas beweglicher zu sein. Winterkleidung, die den Reha-Stuhl mit einpackt. Eine neue zweite Sitzschale, damit das Umsetzen von draussen nach drinnen und umgekehrt leichter würde. Bis August nächsten Jahres - bis der Kindergarten für Jonas und Niklas angefangen hätte - hatten wir bereits alle Hospiz-Aufenthalte geplant. Und in der Kindergarten-Vorgruppe war Jonas genau ein Mal, bevor er krank wurde, und hatte richtig Spaß mit den vielen Kindern um sich herum. Wir sind sehr dankbar, dass wir Jonas so lange kennen lernen durften, nachdem die Ärzte ihm zunächst 4 Wochen bis 4 Monate gegeben hatten. Wir sind dankbar, dass wir seine Epilepsie soweit zurückdrängen konnten, dass wir einen Blick auf seine reine, unschuldige, freudige Seele werfen konnten, dass wir ihn vor seinem Tod richtig kennen lernen durften.
Wir sind überzeugt, daß es nicht viele Kinder wie Jonas gibt. Speziell Michaela ist von der unglaublich intensiven Bindung und der bedingungslosen Liebe von Jonas zu ihr überwältigt. Das erleben sicher nicht viele Mütter in dieser Form. Jonas hat niemals gestänkert oder getrotzt, er hatte immer einen Grund, wenn er geweint hat. Er war unglaublich verschmust und liebevoll. Die Lücke wird niemals zu füllen sein. Aber die Dankbarkeit überwiegt die Trauer. So ein besonderes Kind ist ein Geschenk und wir sind geehrt, daß wir seine Eltern sein durften, wenn auch nur so kurz.
Wir werden Dich immer lieben, Jonas!
Hier findet Ihr einige Bilder von Jonas in glücklichen Augenblicken... |